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Freitag, 16. März 2018

"das machen wir immer so"

"In Deutschland droht eine Opiat-Epidemie wie in den USA" schrieb die Welt gestern. Man darf von diesem Blatt halten, was man will. Ich lese normal weder Welt noch Bild oder eines der anderen, reißerischen Schmierblätter aber mein Handy hat mir ungefragt diese Meldung als Nachricht angezeigt und da musste ich doch mal genauer hinlesen.
Auch andere Zeitungen hatten dieses Thema schon, es scheint ein Lückenfüller fürs Sommerloch und Märzloch zu sein.

Als ich die früheren Male im Krankenhaus lag, zuletzt 2014, wurden Schmerzmittel nur auf Nachfrage gegeben. Also klingelte man entweder vor Schmerzen nach der Schwester oder sie fragten beim einer ihrer Rundgänge ob alles okay sei oder ob man Schmerzen habe. Ungefragt bekam ich nur meine Gerinnungsmittel und gegebenenfalls noch ein Antibiotikum, sofern nötig und angeordnet.

Dieses Mal war ich in einem anderen Krankenhaus und da lief einiges anders. Mein Arzt hat dort Belegbetten und hatte mir vorher Medikamente verschrieben, die ich dann zum Aufenthalt mitbringen sollte für den stationären Aufenthalt und auch für die Tage danach. Ein NSAID "Arcoxia" und ein Gerinnungsmittel.
Im Aufwachraum hatte ich etwas Schmerzen, vor allem die Lagerung meines Beines auf einem Kissen war schmerzhaft. Dort gab man mir etwas direkt in meine Infusion hinein und lagerte mein Bein anders. Danach waren alle Schmerzen weg. Sie blieben es auch. Abends bekam ich eine Tablette im ausgeschnittenen Blister zum Essen dazu. Und natürlich einen Magenschoner. Ich fragte, was das sei und man sagte mir "ein Schmerzmittel, Oxycodon. Ein Opiat"
Ich sagte, ich habe keine Schmerzen und sah erstmal nach, ob sich dieses Mittel überhaupt mit meiner Gerinnungsstörung und den Gerinnungsmedis verträgt. Dabei musste ich feststellen, dass dieses Schmerzmittel in den ersten 12-24 Stunden postoperativ besser nicht gegeben werden soll und wenn, dann nur nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung. Ich hatte keine Schmerzen also sah ich den Nutzen nicht und nahm das Mittel nicht. Auch in der Nacht blieben die Schmerzen aus. Zur Frühschicht kam eine andere, deutlich resolutere Schwester. Sie wollte mir zunächst eine Infusion anhängen aber da ich mein Gerinnungsmittel inzwischen als Tablette bekam und die nächste Dosis erst nachmittags fällig war, fragte ich, was das sei.
Sie: "Ein Schmerzmittel"
Ich: "das brauche ich nicht, ich habe keine Schmerzen"
Sie: "das kriegen alle, Sie kriegen nachher Schmerzen wenn die Physiotherapeuten mit Ihnen fertig sind" 
Ich: "dann kann ich ja dann immer noch um ein Schmerzmittel bitten. Jetzt habe ich keine Schmerzen, ich war auch schon auf, ich möchte nachher nach Hause gehen."
Geschickterweise kam der Arzt da rein und sie konzentrierte sich auf meine Zimmergenossinnen. Ich sagte ihm wahrheitsgemäß wie es mir ging und ob aus seiner Sicht was gegen ein heutiges Verlassen des Hauses spräche. Tat es nicht, ich könne gehen.
Als er raus war, wollte es die Schwester noch mal mit der Infusion versuchen aber ich hielt den Zugang zu und sagte "den dürfen sie ziehen, wenn die Physiotherapeuten mit mir fertig sind, gehe ich heim" -
sie: "davon weiß ich nichts"
ich: *zur Tür zeigend* "das hat Herr Doktor gerade gesagt, fragen sie ihn"
sie: "na dann glaube ich Ihnen das, ich bringe Ihnen gleich das Frühstück"

Auf dem Frühstückstablett stand, wie konnte es anders sein, neben Brötchen und Marmelade auch eine Oxycodontablette und ein Pinnchen Lactulose, damit ich das Oxycodon überhaupt vertrage. Die Schwester wollte sehen, wie ich das nehme und wartete.
Ich sagte wieder "ich habe keine Schmerzen"
sie "aber sie müssen das nehmen, das kriegen hier alle, das machen wir immer so"
ich: "ich habe ein Medikament mit hierher gebracht, es heißt Arcoxia, das muss ich nehmen und das sollte ich heute früh kriegen, bringen Sie mir das noch? Das steht in meinem Behandlungsplan, dieses hier nicht"
sie: "wie heißt das? Arcoxia, davon weiß ich nichts"
innerlich verdrehte ich die Augen. "das hat der Arzt ausdrücklich verschrieben. Auf der Schachtel steht mein Name."
sie "warum sollen sie das nehmen?"
ich "das dient der Ossifikationsprophylaxe"
offenbar war sie beeindruckt, dass ich so ein kompliziertes Wort kenne und verstehe, sie versprach, nach dem Mittel zu suchen. Es dauerte nur 10 Minuten, da fand sie es auch.

Frühstück sei dank war ich danach fit und wollte nur noch eines: ins Bad, endlich Waschen, Haare kämmen, Zähneputzen. Die Schwester machte einen erkennbaren Bogen um mich, blieb aber dennoch freundlich.
Wie ich so am Waschbecken stand, kam die Physiotherapeutin, freute sich nen Keks dass ich schon auf war, zeigte mir kurz, wie man korrekt auf Krücken läuft und entließ mich.

Herr Zimmermann rief an und fragte, was er mich holen dürfte. Die Schwester hörte das mit und sagte "sagen Sie, das geht sofort, ich mache Ihre Sachen schnell fertig" ich entgegnete, dass ich ruhig warten könne denn sie hatte viel zu tun. Aber offenbar freute sie sich darauf, mich renitente Tablettenverweigerin los zu werden. Ich bat sie also, meine Tabletten zu bringen und meinte damit die Medikamente, die ich mitgebracht habe und die ich nehmen musste. Also das Gerinnungsmittel und das NSAID.

Zurück kam sie mit 2 Dosetts in denen je 7 Tabletten lagen. Je 3 längliche Weiße und morgens noch ein Magenschutz. Ich fragte sie, was das sei. Sie sagte, das sei ein Schmerzmittel. Ich sagte mir *Laterne, bleib nett, die Dame hat gerade furchtbar Stress* und sagte "ich brauche noch das NSAID Arcoxia und das Gerinnungsmittel. Sie haben beide Schachteln bei sich, es steht mein Name drauf. Ich brauche die ganzen Schachteln, die muss ich mehr als zwei Tage nehmen." 
Sie sah mich irritiert an. Ich sagte "diese Mittel muss ich nehmen wegen meiner Gerinnungsstörung und dass nix verknöchert. Es ist Wochenende, ich kriege auch nicht so schnell ein neues Rezept her und ich muss in 4 Stunden die nächste Tablette nehmen"
Sie versprach zu suchen und ging ins Stationszimmer. Ich krückte hinterher um die Schachteln, falls ich sie sehe, zu bestätigen. Sie fand in der 3. durchsuchten Schublade die eine mit dem NSAID. Dann zog sie blind weitere Schubladen auf und verzweifelte langsam hörbar. Der Pflegeschüler betrat den Raum und sie fragte ihn, wo mein Medikament sei. Sie hatte in den letzten 2 Minuten schon wieder vergessen, um welches Medikament es überhaupt ging. Ich nannte ihm den Namen, er griff in einen Schrank und traf direkt ins Schwarze.

Schnell verließen wir die Station und ich zahlte 20€ Gebühren für nicht mal 24 Stunden Aufenthalt.
Zuhause entsorgten wir als Erstes die unbeschrifteten Schmerzmedikamente. Ich hatte übrigens immer noch keine Schmerzen. In den letzten 2 Jahren hat mir die Ursache der OP deutlich stärkere Schmerzen bereitet als das, was 18 Stunden postOP davon übrig blieb. Und da hatte ich nie Schmerzmittel genommen.

Ich fürchte, an der Opiatepidemie ist was dran. Wenn ich sowas schon hingestellt kriege mit der Begründung "Sicher kriegen Sie gleich Schmerzen" und "das machen wir hier immer so, das kriegen alle frisch Operierten" dann läuft doch was schief, oder?

3 Kommentare:

  1. Es läuft offensichtlich einiges schief.

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  2. Ich bin sicher kein Experte was das Gesundheitswesen angeht. Wenn ich Deine Schilderungen so lese, kommt der Verdacht auf, in diesem speziellen Krankenhaus werden Schmerzmittel mit System verabreicht. Dadurch erhöht man die Chance, dass zwischenzeitlich die Patienten ruhig gestellt sind und die Pflegekräfte ihrem Arbeitsplan nachgehen können. Bei den Personaldecken haben die auch für was anderes eigentlich keine Zeit mehr.
    Was ich allerdings ganz grausam finde ist der Spruch: "das machen wir hier immer so". Da rollen sich mir die Zehennägel auf (hör ich viel zu oft bei viel zu vielen Gelegenheiten). Dieser Satz zeigt mir, dass ich nen geistigen Zombie vor mir habe.

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    1. Jaa, beim nächsten Mal werde ich da auch anders rangehen und zumindest "meine" Medikamente bei mir behalten. Besser ist das.

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